Samstag, 10. Juli 2010

Juniartikel von Paula


Anpfiff. Der alte Lederball wird durch den roten Staub des Fußballfeldes gejagt. Hier geht es um viel. Hier geht es um die Ehre. Und um 150 Rand. Ein Fußballspiel zwischen den Kindern des Shelters in dem ich arbeite und anderen Kindern aus Townships und ländlichen Gegenden, die Malalane umgeben. Zusammen mit Laura, meiner Mitfreiwilligen, stehe ich am Rande des Fußballfeldes, hinter uns liegen die Berge des Kruger Parks, aus einer naheliegenden Schule ertönen die Trommelklänge des Gottesdienstes. Es ist Sonntag. Wir feuern unsere Jungs an, so gut wir nur können. Unsere Schützlinge. Schießt einer ein Tor bin ich stolz, fällt einer hin stockt mir der Atem.
Organisiert hat das Spiel ein Junge der anderen Mannschaft. Er lebt zusammen mit seinen Geschwistern in einer Hütte außerhalb von Malalane. Zum Fußballfeld ist er getrampt.
Das Spiel ist vorbei und wir gehen als stolze Sieger nach hause. Ein Moment, in dem die Kinder sich als kleine Helden fühlen.
Doch die Helden der Nation sind Momentan die “Bafana” ( Swati für “Jungs” ). Die ganze Nation hat bis zum letzten Spiel gegen Frankreich gehofft und ist auch jetzt noch stolz auf ihre Jungs. Die Stimmung in Newtown, Johannesburg war unglaublich. Geschätzte 15.000 Bafana-Fans jeder Nation haben beim ersten Tor gejubelt und beim zweiten Tor getobt. In der Halbzeit stand alles offen. Würde Südafrika es doch noch in die nächste Runde schaffen? Beim Abpfiff war das Weiterkommen verloren, doch das Spiel gewonnen und darüber freuten sich alle. Auf den Straßen wurde Fußball gespielt - mit Bällen oder Mülltüten. Doch für Bafana war es vorbei.

Newtown, Johannesburg - Das Afrika-Museum im Hintergrund

Nur knappe zwei Wochen vorher hatte es angefangen. Tausende von Augenpaaren starrten auf den Bigscreen. Endlich war es so weit. Endlich rollte der Ball. Das erste Spiel des FIFA Worldcup 2010 in Südafrika hatte begonnen. Noch vor fünf Minuten hatten alle gesungen, getanzt. Doch mit dem Anstoß wurde es ruhig im Fanfest von Nelspruit: Männer, Frauen, Kinder, Südafrikaner, Touristen, Fußballfans - alle setzten sich hin.
Die Stimmung war gut, doch noch ein wenig zurückhaltend, oder auch sehr “diszipliniert”, wie es ein deutscher Freund ausdrückte, der sich zusammen mit mir das Eröffnungsspiel anschaute.
Es wurde also im Sitzen mitgefiebert, diskutiert und gehofft. Bis das erste Tor fiel. Die Menge sprang in die Luft und riss die Arme in die Höhe. Keine Spur mehr von Zurückhaltung. Jetzt wurden Fremde umarmt und Vuvuzelas geblasen. Jetzt wurde gejubelt und geschrien. Und keiner setzte sich mehr hin.
Auch beim ersten Spiel der deutschen Mannschaft lies ich es mir nicht nehmen und setzte mich in Malalane ins Sammeltaxi, um zum Fanfest zu fahren. Schon, als ich am Taxirank in Nelspruit ankam war wesentlich weniger los als beim Eröffnungsspiel einige Tage zuvor. Beim Fanfest waren nur wenige hundert Menschen, jedoch schon beim ersten Tor für Deutschland wurde klar, dass die meisten Südafrikaner dort sehen wollten, wie Australien verliert. Denn durch andere Sportarten wie Rugby oder Kricket sind Südafrika und Australien große Konkurrenten. Nach dem 4:0 Sieg waren also die meisten guter Laune und begaben sich Richtung Ausgang. Ich selbstverständlich auch. Siegestrunken feierte ich noch auf der Straße weiter. Bis mir auffiel, dass mir etwas fehlte: Mein Rucksack! Ich drehte also auf der Stelle um und rannte zurück. Der Fanpark war schon leer, es war nur noch eine riesengroße Grünfläche zu sehen. Und weit und breit kein Rucksack. Der Müll wurde schon weggeräumt und die Zelte abgebaut. Gerade hatte ich die Hoffnung aufgegeben, da sah ich meinen Rucksack neben einem der Sicherheitsbeamten stehen. Ich hatte ihn mitten auf der Wiese stehen gelassen. Alle seien fast draufgetreten, sagte mir der Beamte, da habe er ihn lieber an sich genommen. Ich dankte ihm und begab mich erneut Richtung Ausgang. Diesmal mit Rucksack.
Das nächste Bafana-Spiel sah ich im Shelter, zusammen mit meinem Vater, der an dem Tag in Südafrika gelandet war um mich zu besuchen. Zu meiner Überraschung saßen nur vier Jungs auf dem Sofa, als wir den “Sittingroom” betraten, in dem sich der Fernseher befindet. Allen anderen reichte es, am nächsten Tag das Ergebnis zu erfahren. Wir gesellten uns also zu den Jungs - wir in unseren Winterjacken, die Kinder unter Wolldecken, da die Nächte jetzt im Winter bitterkalt werden können - und feuerten mit ihnen zusammen ihr Team an. Ohne Erfolg - denn Uruguay schaffte es ja bekanntlich bis ins Halbfinale.
Nachdem mein Vater und ich das nächste Spiel der deutschen Mannschaft gegen Serbien im Kruger Park geschaut hatten, machten wir uns auf den Weg nach Kamhlushwa, um dort Freunde zu besuchen, die ein Waisenprojekt leiten. Jeden Samstag Morgen um acht Uhr geht es mit dem vollgepackten Laster auf ihrer Farm los. Auf der Ladefläche: Pap, Obst, Gemüse, Tütensuppen, Kekse, Kaffee, Bohnen, Fisch, Kosmetikartikel. Manchmal auch Kleidung. Auf dem Weg werden noch ein paar Mitarbeiter eingesammelt. Dann werden die einzelnen Stationen abgefahren. Die Mitarbeiter sagen, sie füttern Kinder (“we feed the children”), doch das Projekt sorgt für viel mehr als Nahrung. Die Kinder sind in Computern registriert, mit Namen und Bedürfnissen. Es wird Kontakt zu den Schulen gehalten, sodass sich jemand kümmern kann, wenn eines der 2500 Kinder Probleme in der Schule hat. Es gibt professionelle psychologische Betreuung. Es wird mit den Kindern gespielt. Es wird eine persönliche Beziehung zu den Kindern aufgebaut. Es wird Hoffnung, Kraft und Wille gegeben. Entstanden ist das Projekt vor neun Jahren und wird seitdem allein durch Spenden finanziert. An jenem Samstag wollten wir auch mitkommen. Ich war schon manchmal dabei und wollte es gerne meinem Vater zeigen. Mit dem Laster fuhren wir durch die Dörfer bis wir bei unserem ersten Halt ankamen. Hier spielte der örtliche Fußballplatz eine ganz andere Rolle. Etwa 20 Kinder warteten dort, es war der Treffpunkt zur Lebensmittelausgabe. Ein paar von ihnen hatten Schubkarren. Manche lachten, manche waren noch ganz verschlafen. Manche hatten ihre jüngeren Geschwister auf dem Rücken. Als der Laster auf dem Feld zum Halten kam und die Ladefläche sich öffnete machten die ersten Kinder sich auf, um beim Entladen zu helfen, oder ihre Karren zu füllen. Es gab keine Streitereien. Keiner drängelte sich vor. Jeder weiß, dass es genug gibt und dass jeder was kriegt. Manche haben sogar Extrawünsche. Die kann man ihnen nicht immer erfüllen, doch dass sie sie haben freut die Mitarbeiter, denn das heißt dass ihre Grundbedürfnisse gestillt sind.
Doch zurück zum WM-Geschehen. Selbstverständlich lies ich mir auch einen Stadionbesuch nicht entgehen. Das aufregendste Spiel war für mich Deutschland gegen Ghana. Ich wünschte mir beide Mannschaften in der nächsten Runde. Es wurde abgepfiffen und die Vuvuzelas ertönten. Wen das störte, der konnte sich mit den so genannten “Thulazelas” (Thula: swati für Ruhe), auch bekannt als Ohropax, helfen. Die Stimmung war ausgesprochen gut. Noch konnte der Pokal in Afrika bleiben- die Hoffnung vieler Afrikaner. Die meisten Deutschland-Fans waren übrigens gar nicht deutsch. Wenn sie es waren erkannte man sie jedoch sogleich an ihrer unverwechselbaren Art zu feiern. Zur guten Stimmung trug aber auch die gute Organisation bei: Weder Staus, noch Parkplatzmangel. War mal kein Parkplatz auf den ersten Blick sichtbar sprang einem direkt ein Parkwächter zur Hilfe und zeigte einem die nächste Parklücke. Zur Not rannte er dafür auch mal einen Kilometer neben dem Auto her.
Bald ist Finale. Zwar nicht für die Deutschen, aber da ich gebürtige Niederländerin bin ist die Sache am Sonntag für mich klar. Jetzt wird auf Oranje gehofft. Bis zum Schlusspfiff.

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